Die Entstehung eines Phänomens - Kurze Geschichte zum Musicalfilm

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Special Christoph Gallas - Autor
Die Entstehung eines Phänomens - Kurze Geschichte zum Musicalfilm
Quelle: Alamode/CrocoFilm/Universal

Am 19. Juli lief mit "Mamma Mia! Here We Go Again" die Fortsetzung des mittlerweile 10 Jahre alten Hits in den deutschen Kinos an. Die Kritiken sind wie auch beim Vorgänger eher verhalten und gliedern sich mit ihren Wertungen irgendwo im Mittelfeld ein. Trotzdem könnte man auf der Straße etliche Menschen befragen und würde ein ganz anderes Stimmungsbild erhalten. Wieso das so ist, bzw. so sein könnte, erfahrt ihr in diesem Special.

Jedes Genre findet seine Liebhaber, genauso wie es all jene findet, die es bei jeder Gelegenheit verteufeln wollen. Das Musical gehört sicherlich zu den populärsten Vertretern einer solchen Ambivalenz. Während viele es lieben, sich von dem Hybrid aus Theater, Tanz und Gesang entführen zu lassen, können manch andere nur mit dem Kopf schütteln, wenn die Protagonisten in jedweder Situation zu einem Liedchen anstimmen.

Ganz gleich aus welchem Lager wir kommen, das Genre der Musicals hat in der Filmhistorie eine beachtliche Vergangenheit bis hin zu zeitgenössischen Oscargewinnern. Natürlich sprechen wir, wenn wir über das Musical reden, vornehmlich über den Musicalfilm. Dennoch möchten wir, ehe wir uns diversen filmischen Vertretern widmen, zunächst einen Blick auf das werfen, was diesem vorrausging: das Musical als Theater.

Vorgeschichte

Die Ursprünge des Musicals finden sich in New York und London des 19 Jahrhunderts. Genauer genommen war das vermeintlich erste Musical gar nicht als solches geplant. Vielmehr entstand es aus der Zwangsheirat eine Balletgruppe, die nicht auftreten konnte, weil kurz zuvor der Auftrittsort niedergebrannt war, und einem Melodram von Charles Barras mit dem Namen "The Black Crook" (1866). Die ungewöhnliche Kombination wurde derart gut vom Publikum aufgenommen, dass es noch diverse weitere Male gespielt wurde und das Konzept sukzessive Einzug in die Theaterlandschaft der beiden genannten Metropolen fand. Da in eben dieser Szene etliche kulturelle Einflüsse aufeinander prallen, konnte ein vielfältiges Genre gedeihen.

Tatsächlich kam der Begriff des Musicals erstmals um 1920 auf, als Jerome Kern mit "Show Boat" das erste Musical-Play veröffentlichte. In Abgrenzung zum normalen Musical wurden hier auch ernste, sozialkritische Themen eingeflochten und die Songs ergaben sich erstmals aus der Handlung des Stücks. 1927 war es dann endlich so weit - der Tonfilm wurde erfunden und ermöglichte dem Genre weltweit an Beliebtheit hinzuzugewinnen, da der Film entgegen dem Theater nicht nur diverse technische Vorteile mit sich brachte(wie etwa der Blick von oben oder dem Szenenwechsel mittels Schnitt statt Bühnenumbau), sondern auch - und dies scheint noch wichtiger - dessen Massenproduzierbarkeit.


Tanzfilme

Szenenbild aus "The Big Lebowski" (1998) Quelle: Universal Szenenbild aus "The Big Lebowski" (1998) - Der Traum Nach den goldenenen 20ern ging es den Menschen vor allem darum, den von der Wirtschaftskrise geprägten Alltag zu vergessen und sich möglichst positiven Vibes auszusetzen. Im Zuge dieses Strebens wurde der Revuefilm ein beliebter Zeitvertreib. Der Revuefilm ist dabei eine Form des Tanzfilms, bei dem vor allem der Blick der Kamera hervorstach, da er es erlaubte, Tanzformationen in ihrer Gänze und nicht nur frontal von der Zuschauertribüne aus zu betrachten. Um möglichst symmetrische Bilder zu erzeugen, entwarf man damals aufwendige Choreografien und castete nur Tänzerinnen, die in Statur und Aussehen einander glichen. Diese frühe Form wird auch heute gerne noch von Filmen zitiert - mitunter am bekanntesten ist die Traumszene aus "The Big Lebowski" (1998).


Trickfilme

Schneewittchen und die sieben Zwerge Quelle: Disney Szenenbild aus "Schneewittchen und die sieben Zwerge" (1937) - Wer hat in meinem Bettchen gelegen? Walter Elias Disney ist heutzutage allem voran für zwei Dinge bekannt: Die Gründung der Walt Disney Company und seinen stellenweise fragwürdigen Perfektionismus, mit dem er seine Mitarbeiter drangsalierte. Als er sich 1934 dazu entschloss, einen abendfüllenden Trickfilm zu kreieren, lachten ihn Kollegen und Kritiker noch aus. "Schneewittchen und die sieben Zwerge" sollte jedoch ein voller Erfolg werden.

Ob dieser Durchbruch mitunter der Integration von Musikstücken zu verdanken ist sei dahingestellt, dennoch ist seitdem die Musik zu einem Markenzeichen der meisten großen Disneyproduktionen geworden. Viele der heute erwachsenen Menschen sind zu irgendeinem Zeitpunkt mit einem Disneyfilm in Berührung gekommen und verbinden damit in der Regel positive Assoziationen. Gleichermaßen fußt darauf wohl aber auch das Vorurteil der mangelnden Ernsthaftigkeit von Musicaleinlagen - sie sind eben kindlich eingefärbt.

Auch in den jüngsten Animationsfilmen zeigt sich, dass vor allem die Musik ein breites Publikum erreicht. So werden die Lieder und Szenen in unzähligen von Fans entwickelten Variantenwieder und wieder nachempfunden und neuinterpretiert. Dies ist eine Aussage, die man auf durchaus mehr Filme mit eigenen Gesangseinlagen ausweiten könnte, die es über den Film hinaus in die Charts und Köpfe der Menschen geschafft haben.


Adaptionen

Szenenbild aus "Du sollst mein Glücksstern sein" (1952) Quelle: MGM Szenenbild aus "Du sollst mein Glücksstern sein" (1952) - Singin' in the Rain "Singin' in the Rain" (1953) wurde vom "American Film Institute" zum besten Musicalfilm aller Zeiten gekürt.
Dies allein schon scheint eine Aufführung in dieser kleinen Geschichte zu rechtfertigen, selbst wenn dieser Film, entgegen der Überschrift, keine Adaption ist. Viel interessanter ist der selbstreflexive Charakter des Klassikers, der gleichermaßen einen Höhepunkt der Film- und Musicalgeschichte darstellt, als auch mit seiner Handlung auf einen Wendepunkt zurückverweist - der Etablierung des Tonfilms. Die bis dato berühmten Stummfilmstars (ca. 1928) verloren seinerzeit fast alle schlagartig an Popularität und sahen sich mit dem Anspruch konfrontiert, nun auch stimmlich glänzen zu müssen. Ein Anspruch der seinen Gipfel in eben einem Genre hatte: dem Musical.

I Szenenbild aus "West Side Story" (1961) Quelle: Alamode Szenenbild aus "West Side Story" (1961) - Tanzduell m späteren Verlauf der Musicalhistorie erkannte man, dass Adaptionen bekannter Stücke durchaus erfolgsversprechend sein können. Daher begannen Hollywood und der Broadway relativ früh, die Stücke des jeweils Anderen in das eigene Medium zu übertragen. "West Side Story" wird heute auch als die Mutter aller Musicals gehandelt und hatte am Broadway seine Uraufführung am 26. September 1957. Schon vier Jahre später erschien die filmische Adaption, welche mit zehn gewonnenen Oscars nicht nur bei den Academy Awards abräumte, sondern auch bewies, wie gut das Genre im Film funktioniert.

Die Straßengangvariante von Romeo und Julia stellte einen qualitativen Meilenstein dar. Wie schon ihr bühnisches Vorbild im Jahr 1957, setzte man auch hier darauf, Choreografien, Narration und Musik möglichst nahtlos zu einem Gesamtwerk verschmelzen zu lassen. Spätestens jetzt stellt man ein Schema fest, das sich bis zum heutigen Tage durch das Genre zieht. Es ist zwar nicht abhängig davon, dennoch verlässt es sich in der Masse stark auf die Bekanntheit seiner einzelnen Teile.

Szenenbild aus "Cry Baby" (1990) Quelle: Universal Szenenbild aus "Cry Baby" (1990) - Coole Kids So natürlich auch in Parodien wie "Cry Baby" (1990), der mit Starbesetzung (Johnny Depp) berühmte Vorlagen "Grease" (1971) aufs Korn nehmen Was bei der Parodie insbesondere hervorsticht, ist der theatrale Ursprung von Musicals. Während Theaterschauspieler mit Bewegung und Stimme maßlos übertreiben müssen, sodass auch der Zuschauer in der letzten Reihe alles vom Stück mitbekommt, kann beim Film darauf verzichtet werden, da mittels Close-Up jede noch so kleine Mimik nachvollzogen werden kann. Was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass das Schauspiel in Musicalfilmen für viele nahezu lächerlich, gar unnatürlich wirkt.


Jukebox-Musicals

Szenenbild aus "Moulin Rouge" (2001) Quelle: Fox Szenenbild aus "Moulin Rouge" (2001) - Wilde Party In allen vorangegangen Erscheinungsformen waren es vor allem der Broadway und Hollywood die den Ton angaben und die Vorlagen lieferten. Bei den sogenannten Jukebox-Musicals bedient man sich mit der Musikbranche einer externen Quelle und spinnt um bereits bestehende, erfolgreiche Songs eine Geschichte als Rahmen, die mehr oder weniger dazu dient, bekannte Hits noch einmal abzufeiern. Gerade die also, die im Auto sitzen und bei voller Lautstärke jeden Ohrwurm mitträllern, haben ihren Spaß mit dieser Gattung des Musicalfilms.

Ein starbesetzter Vertreter erschien im Jahr 2001 unter dem Namen "Moulin Rouge" und spielte im gleichnamigen Etablissement in Paris. Mit Ewan McGregor und Nicole Kidman in den Hauptrollen, einer Szenenbild aus "Mamma Mia!" (2008) Quelle: Universal Szenenbild aus "Mamma Mia!" (2008) - Letzte Show Geschichte die aus drei mehr oder weniger bekannten Operetten zusammengeschustert wurde und einem musikalischen Rundumschlag quer durch die Jahrzehnte, war der Film ein Erfolgsgarant. Mit einem Einspielergebnis von 179,2 Millionen und Produktionskosten von 52,5 Millionen US-Dollar ist das Rezept kommerziell über jeden Zweifel erhaben.

Im Vergleich zu "Mamma Mia!" (2008) sind dies aber gerade einmal Peanuts. Mit einem Einspielergebnis von 609,8 Millionen US-Dollar hat der auf ABBA-Songs basierende Kassenschlager seine Produktionskosten um mehr als das 11-Fache wieder reingeholt. Dass man in diesem Jahr an solch einen Erfolg gerne anknüpfen würde, versteht sich natürlich von selbst. "Mamma Mia! Here We Go Again" (2018) ist allerdings keine reine musikalische Wiederholung des ersten Teils, denn tatsächlich haben die schwedischen Stars diverse neue Songs komponiert und manch alte neu aufgelegt. Dieses Mal setzt man aber vor allem auf einen jüngeren Cast, der mit Meryl Streep oder eines Colin Firth als Vorgänger ein schweres Erbe anzutreten hat. Man kann aber durchaus davon ausgehen, dass die Fortsetzung schon alleine wegen der in die Kinos strömenden Nostalgiker kein Flop werden wird.


Nicht zu vergessen

Szenenbild aus "The Rocky Horror Picture Show" (1975) - Bühnenauftritt Quelle: Croco FIlm Szenenbild aus "The Rocky Horror Picture Show" (1975) - Bühnenauftritt Es ist durchaus fraglich ob man ein solches Special schreiben könnte ohne auf "The Rocky Horror Picture Show" (1975) und "La La Land" (2016) einzugehen. Gerade Ersterer ist zu einem regelrechten Kultfilm geworden, der beweist, was eine treue Fangemeinde alles bewirken kann. Eingangs hatte der bizarre Streifen nämlich keinen Erfolg an der Kasse, wurde aber durch Fans am Leben erhalten, die wieder und wieder in die Kinosäle strömten. Schließlich entschied man sich, die Vorstellung des Films in die Nacht zu verlegen, was damals derart neu war, dass den Machern so der große Coup gelang. "The Rocky Horror Picture Show" ist das, was man als bildgewordene Hyperbel begreifen könnte: Charaktere, Kostüme, Kulisse, Musik - alles ist derart übertrieben, dass eingefleischte Fans sogar mit ähnlich grotesken Kostümen und Ambitionen bei wiederkehrenden Neu-Aufführungen auftauchen. Im Museum Lichtspiele in München läuft der Streifen beispielsweise schon seit über 40 Jahren. Zum letztjährigen Jubiläum erhielten Zuschauer sogar ein Mit-Mach-Paket, nur für den Fall, dass sie nicht ohnehin schon passend dort auftauchten.

Szenenbild aus "La La Land" (2016) Quelle: Studiocanal Szenenbild aus "La La Land" (2016) - Zweisamkeit Weniger kultig, dafür nach modernen Standards filmisch herausragend gestaltet, ist der oscarprämierte "La La Land" (2016). Der Name ist dabei tatsächlich Programm, denn das LA ist unter anderem Stellvertreter für Los Angeles als geographischen Ort, La La Land als solches ist aber auch schon seit langem ein Spitzname für Hollywood im Allgemeinen. Es beschreibt einen Ort, der sich ständig fernab der Realität bewegt, weil in ihm, in den Studios und Theatern, laufend neue, fiktive Welten erschaffen werden. Wenn man möchte, könnte man demnach auch hier von einer gewissen Selbstreflexivität sprechen, wie es auch schon bei "Singin' in the Rain" der Fall war. Eben solche Welten sind auch Musicals, in denen Gedanken und Gefühle, Zustände und Tätigkeiten, Loblieder und Gesellschaftskritiken in Melodien und Texte verpackt werden, die wie schon nach den goldenen 20ern häufig auch nur eine Form der Verarbeitung sind.


Schlussworte

Mit der Adaption selbst bauen Produzenten darauf, dass die Vorlage zuvor schon ein Publikumsliebling war. Die Besetzung mit bekannten Gesichtern funktioniert nach dem gleichen Prinzip und spätestens seit den Jukebox-Musicals ergeben sich die Songs beinahe nur noch aus ihrem Nostalgiewert bei potentiellen Zuschauern. Auch Disneyfilme, die ja bekanntlich neue Songs in vermeintlich neue narrative Muster verpacken, verlassen sich vor allem auf eines: die Marke. Kaum ein Musicalfilm kommt unterm Strich ohne einen gewissen Wiedererkennungswert aus, dabei ist es auch gleichgültig ob dieser im Westen oder vielleicht sogar in Bollywood produziert wurde.

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Was hier fast schon polemisch klingt, ist allerdings gar nicht so gemeint. Es ist die Feststellung eines Musters, frei von Bewertung und frei von dem Anspruch alles abgedeckt zu haben. Musicalfilme machen Spaß, Musicalfilme funktionieren - wie bei jedem anderen Genre auch muss nur die Qualität stimmen. Was haltet ihr von dem Genre? Welche Vertreter muss man gesehen haben?
Allen "Mamma Mia!"-Fans wünschen wir nun schon mal viel Spaß im Kino.

02:12
La La Land: Neuer Trailer zum bunten & hochgelobten Gute-Laune-Musical
    • Kommentare (1)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von bundesgerd Gelegenheitsspieler/in
        Nicht zu vergessen: The Greatest Showman.
        Ein sehr gut aufgelegter Hugh Jackman und einige super Songs, die einen mitreissen... :)
      • Von bundesgerd Gelegenheitsspieler/in
        Nicht zu vergessen: The Greatest Showman.
        Ein sehr gut aufgelegter Hugh Jackman und einige super Songs, die einen mitreissen... :)
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