Wasteland 3: Riesig groß und verdammt gut - Das dystopische Rollenspiel im Langzeit-Test

Als wir uns die Backer-Beta von Wasteland 3 vor ein paar Monaten angeschaut haben, war der Release schon zum Greifen nah. Dann hat die Pandemie uns und auch Entwickler inXile Entertainment einen kritischen Treffer verpasst und dafür gesorgt, dass sich die Veröffentlichung um satte drei Monate verzögert. Jetzt ist das Spiel endlich fertig und die Zeit, die wir mit der PC-Testversion verbracht haben, macht klar, dass die zusätzliche Entwicklungszeit dem Spiel gutgetan hat. inXile gibt die Spielzeit mit 80 bis 100 Stunden an. Das ist schon ein ziemliches Brett, dennoch lief zumindest die PC-Version weitestgehend flüssig und ohne gravierende Bugs auf unserem Testsystem. Die Konsolenversionen haben da schon mit größeren Problemen zu kämpfen. Aus Zeitgründen konnten wir uns diese aber nicht ausführlicher anschauen.

Quelle: InXile Entertainment Die Payasos sind eine verrückte Clown-Gang, die gerne mit großen Waffen spielt. (Offizieller Screenshot von inXile Entertainment)

Auf nach Colorado!

Wasteland 3 versetzt euch in ein verstrahltes Nordamerika im 22. Jahrhundert. Die Kenntnis der beiden Vorgängerspiele macht das neue RPG mit rundenbasierten Kämpfen zwar noch etwas unterhaltsamer, unbedingt notwendig ist sie aber nicht. Ihr übernehmt die Kontrolle über einen Trupp von Desert Rangers, die nach dem spektakulären Ende von Teil 2 arg dezimiert und auf der Suche nach neuen Verbündeten in anderen US-Bundesstaaten sind. Ein Angebot aus dem eiskalten Colorado klingt zu gut, um wahr zu sein. Saul Buchanan genannt "Der Patriarch", kontrolliert von Colorada Springs aus große Teile des Landes. Dieser selbsternannte Herrscher bietet den Rangers Ausrüstung, Essen und Unterstützung an. Die einzige Bedingung: Die Rangers sollen die drei Kinder des Patriarchen zu Räson bringen, mit denen Buchanan im Streit liegt.

Quelle: InXile Entertainment Die Gippers, die einen Reagan-Roboter anbeten, kontrollieren Teile der zerstörten Stadt Denver.

Helden mit Macken aus dem Baukasten

Weil die Not groß ist, nehmen die Rangers den Auftrag an und reisen nach Colorado. Kaum dort angekommen, laufen sie geradewegs in einen Hinterhalt, der fast den kompletten Konvoi der postapokalyptischen Gesetzeshüter auslöscht. An diesem Punkt endet das stimmungsvolle Intro und das Spiel beginnt mit der Wahl eines Charakter-Duos, mit dem ihr den Spieleinstieg bestreitet. Ihr könnt euch entweder für eines der fünf vorgefertigten Paare entscheiden oder euch komplett neue Charaktere erschaffen. Die Charaktererstellung ist die einzige Möglichkeit, eure Helden mit gewissen Macken zu versehen. Macken verschaffen euren Charaktere außergewöhnliche Vorteile im Austausch mit ebenso außergewöhnlichen Nachteilen. Wer sich beispielsweise für "Tollpatsch" entscheidet, verursacht mehr Nahkampfschaden, hat aber eine um 50% verringerte Chance, kritische Treffer zu erzielen.

Bei der Erstellung neuer Charaktere definiert ihr darüber hinaus Namen, Aussehen, Geschlecht, Startwaffen, Attribute, Fertigkeiten und einiges mehr. Ihr müsst euch darüber aber nicht wirklich den Kopf zerbrechen, denn anders als bei vergleichbaren Rollenspielen könnt ihr jeden eurer vier Haupthelden (nach dem Einstiegslevel kommen zwei weitere Rangers dazu) in eurer Basis durch diverse vorgefertigte oder neu erstellte Charaktere ersetzen. Zu eurem 4er-Ranger-Team stoßen im Laufe des Spiels einige Bonuscharaktere, von denen ihr zwei in eure Party einladen dürft. Diese geben euch in bestimmten Situationen besondere Vorteile oder Gesprächsoptionen oder beeinflussen gar den Ausgang des Spiels gewaltig. Der erste ist ein Marshall aus Colorado Springs, später folgen unter anderem ein Cyborg-Sektenführer, eine Revolverheldin oder ein stets betrunkener, Uralt-Cowboy.

Extrem brutal und packend: die Kämpfe in Wasteland 3

Zurück zum Anfang des Spiels. Nach der Charakterwahl ist erst einmal Überleben angesagt. Schlecht ausgerüstet und zahlenmäßig unterlegen, müsst ihr dem Hinterhalt entkommen. Dabei lernt ihr diverse Spielgrundlagen kennen und dürft euch schon in einigen Kämpfen beweisen. Bei den rundenbasierten Gefechten in Wasteland 3 (jetzt kaufen 17,95 € / 19,99 € ) solltet ihr unbedingt das Deckungssystem nutzen. In vielen Kämpfen ist es überlebenswichtig, den Kopf aus der Schusslinie zu nehmen, sofern das möglich ist. Falls ihr bei einem Kampf nicht überrascht wurdet, gehört die erste Aktionsrunde immer euch. Das bedeutet, dass all eure Helden (zu Beginn sind das ja nur zwei) in beliebiger Reihenfolge Aktionen ausführen dürfen. Ihr könnt Gegner im Nah- oder Fernkampf angreifen, Fähigkeiten oder Gegenstände benutzen, durchladen oder euch bewegen. Alle genannten Handlungen kosten Aktionspunkte (AP). Wie viele das sind, ist abhängig von der Stärke einer Fähigkeit oder Waffe: Während das Abfeuern eines Revolvers gerade mal drei AP erfordert, kostet ein Schuss mit einem Scharfschützengewehr (höhere Reichweite und mehr Schaden als der Revolver) das Doppelte oder gar mehr. Quelle: InXile Entertainment Ein echtes Highlight des Spiels: der Kodiak-Panzer mit dem ihr das eiskalte Ödland Colorados erforscht. Ihr müsst euch also gut überlegen, was ihr wann macht, denn die Kämpfe in Wasteland 3 sind schon auf "Ödlander", dem zweiten von vier Schwierigkeitsgraden, ganz schön herausfordernd. Nach eurer Spielrunde kommt der Gegner zum Zug, danach all eure Begleiter. Wer zu Spielbeginn geschickt agiert, erhält den ziemlich mächtigen Katzenbegleiter Major Tomcat, der in Kämpfen eine echte Hilfe darstellt. Wer über die Fertigkeit Tierflüsterer verfügt, darf weitere Tiere zähmen, die euch ebenfalls im Kampf unterstützen- Gewiefte Mechaniker dürfen in Kämpfen gar Geschütztürme aufstellen. Wen eure Zusatzbegleiter angreifen, könnt ihr aber nicht steuern. Das Spielgeschehen wird stets von schräg oben gezeigt, wobei ihr nicht nur beliebig rein- und rauszoomen dürft, sondern die Kamera frei drehen dürft, um selbst in brenzligen Situationen den Überblick zu behalten.

Moralische Entscheidungen mit großem Einfluss auf den Spielablauf

Die turbulente Einstiegssequenz liefert euch schon mal einen guten Vorgeschmack auf das, was euch in Wasteland 3 erwartet: knackige Kämpfe, gelungener Humor, krasse Gewaltdarstellungen mit harten Splattereffekten und natürlich ein tiefgehendes Rollenspiel mit vielen relevanten Entscheidungen, die sich auf den weiteren Spielverlauf auswirken. Habt ihr dieses Tutorial hinter euch gelassen, trefft ihr zum ersten Mal auf den Patriarchen, der euch eine alte Militärbasis als Stützpunkt vermacht. Eine der wichtigsten Aufgaben in den ersten Spielstunden ist es, diese Basis auszubauen und mit passendem Personal auszustatten. Um dies zu bewerkstelligen erfüllt ihr Quests in und um Colorado Springs, das direkt neben eurem Hauptquartier liegt.
Quelle: InXile Entertainment Böse Überraschung: Die Tochter des Patriarchen lauert uns auf und hetzt uns ihre Roboter auf den Hals.

Ich muss leider mein Schwein auf euch hetzen! Fass, Crunchy!

Viele Aufgaben im Spiel sind so angelegt, dass ihr in wichtigen Dialogen oder Kämpfen mehrere Optionen oder Lösungsmöglichkeiten habt. In Gefechten könnt ihr manchmal die Umgebung nutzen, um euch einen Vorteil zu verschaffen. In Quests und Dialogen kommt es dagegen oft darauf an, ob ihr mit einem eurer Charaktere eine bestimmte Fertigkeit (oder Skill) auf einer entsprechend hohen Stufe habt. Ein Beispiel: Die Fertigkeit "Harter Hund" ermöglicht es euch an manchen Stellen Gesprächspartner oder Gegner einzuschüchtern, damit sie euch passieren lassen oder machen was ihr wollt. Es gibt vier Arten von Skills und im Prinzip kann eure 6er-Abenteurertruppe auf keine einzige dieser Fertigkeiten verzichten. Kampffähigkeiten sind mehr oder weniger selbst erklärend: sie bestimmen, welche Waffenarten ihr auf welcher Qualitätsstufe ihr verwenden könnt. Soziale Fertigkeiten wie die oben genannte "Harter Hund" oder "Arschkriecher" versorgen euch mit zusätzlichen Gesprächsoptionen und Questlösungsansätzen. Allgemeine Fertigkeiten wie Erste Hilfe, Tierflüsterer oder Sprengstoffe sind an vielen Stellen im Spiel wertvoll. Das gleiche gilt für Erkundungsfertigkeiten wie Schlösserknacken, Mechanik oder Überleben. Letzteres hilft euch unter anderem dabei, Zufallsbegegnungen auf der Weltkarte zu vermeiden. Schließlich werdet ihr nicht ewig nur in Colorado Springs bleiben.

Das Skillsystem: Toaster reparieren war nie ergiebiger

Quelle: InXile Entertainment Nicht willkommen: Bei ihrer Ankunft in Colorado geraten die Rangers in einen Hinterhalt, der Vielen das Leben kostet. Wie oben angedeutet, solltet ihr euch gut überlegen, wie ihr die ganzen Fertigkeiten auf eure Helden verteilt, sonst wird es schwer darin das Maximum (10 Punkte) erreichen. Schon im ersten Drittel des Spiels stoßt ihr auf Türen, die sich nur mit einem extrem hohen Wert in Schlösserknacken öffnen lassen. Und die zahlreichen Computer im Spiel geben ihre Geheimnisse nur dann preis, wenn ihr Nerdkram mit einem Helden geskillt habt. Das Besondere daran: Das Benutzen von Fertigkeiten beschert euch dringend benötigte Erfahrungspunkte, die ihr sonst nur für das Erfüllen von Quests oder Siege in Kämpfen erhaltet. Hohe Skill-Werte geben euch Zugang zu bestimmten Vorteilen, von denen ihr bei jedem Charakter nach jedem zweiten Levelaufstieg einen freischalten könnt. Ihr könnt so beispielsweise eure Rüstung erhöhen, Sonderfähigkeiten in Kämpfen bekommen oder passive Boni erhalten. Was eure Helden sonst noch können, wird über sieben Charakterattribute (Koordination, Glück, Achtsamkeit, Stärke, Geschwindigkeit, Intelligenz und Charisma) festgelegt. Bei jedem Level-Up erhaltet ihr einen Punkt, den ihr hier investieren dürft. Koordination bestimmt unter anderem wie viele Aktionspunkte ein Held hat, während Intelligenz bestimmt, wie viele Skill-Punkte ihr bei Levelaufstiegen erhaltet. Falls ihr einem oder mehreren Charakteren komplett verskillt habt, ist das kein Problem: Ihr könnt euch jederzeit im Ranger-Hauptquartier neue erstellen und sämtliche Attribute, Fertigkeiten und Vorteile neu definieren. Diese Ersatz-Helden fangen selbstverständlich nicht bei null an, sondern auf dem Level, auf dem sich die Kameraden befinden.

Ein riesiges Arsenal mit massig exotischen Spezialwaffen

Quelle: InXile Entertainment In Sachen Menüs und Benutzerführung stellt Teil 3 eine große Verbesserung gegenüber dem Director's Cut von Wasteland 2 dar. Im Spielverlauf werdet ihr mit Gegenständen geradezu überschüttet. Ihr findet neue Ausrüstung für eure Helden, Munition, nützliche Gegenstände und auch jede Menge Schrott, den ihr für gutes Geld bei Händlern verkauft. Waffen und Rüstung für Kopf, Rumpf und Beine haben dabei stets eine Fertigkeiten- oder Attributs-Mindestanforderung, die festlegt, ab wann ihr diese sinnvoll benutzen könnt. Erfüllt ein Charakter diese nicht, kann er den Gegenstand zwar verwenden, aber nur mit gravierenden Einschränkungen, die sich in Kämpfen negativ auswirken. Die Fertigkeiten Waffen- und Rüstungs-Modding erlauben es euch, Ausrüstungsgegenstände durch Mods noch weiter zu verbessern. Waffen verursachen dann mehr Schaden und Rüstung bietet mehr Schutz. Es lohnt sich also, hart verdiente Fertigkeitspunkte in diese Skills zu investieren.

Das siebte Mitglied der Abenteurertruppe: der Kodiak-Panzer

So interessant die Anfangsumgebung Colorado Springs auch ist, Wasteland 3 nimmt erst richtig Fahrt auf, sobald ihr euch in die Außenwelt wagt. Da geht es dank haarsträubender Überraschungsangriffe, strahlenverseuchter Gebiete, gut versteckter Secrets und außergewöhnlicher Orte richtig ab. Ihr erkundet diese eiskalte Wildnis mit eurem Kodiak-Panzer, den ihr aufrüsten und nach euren Wünschen konfigurieren könnt. In manchen Kämpfen wird er gar zu einem weiteren Team-Mitglied, das aktiv in den Kampf eingreift und über eine massive Feuerkraft verfügt. In jedem Fall ist der Kodiak eine der besten Neuerungen in Wasteland 3 im Vergleich zum Vorgänger. Quelle: InXile Entertainment Euer Kodiak-Panzer darf natürlich auch aufgerüstet werden. Diese Clown-Kanone steht ihm gut! Denn es macht wirklich viel Spaß mit ihm durchs vereiste Colorado zu heizen. Wer gerne erforscht, der ist in Wasteland 3 grundsätzlich gut aufgehoben, denn in allen Levels sind Goodies und Ausrüstung versteckt. Um alles zu finden, muss man sich schon sehr gut umsehen und die zur Verfügung stehenden Team-Fertigkeiten auch entsprechend einsetzen. Angaben zum Mindest-Level bei Quests sorgen dafür, dass ihr euer Vorgehen in Wasteland 3 entsprechend planen könnt. Das Verhalten von NPCs im Spiel ist stark von eurem Ruf abhängig. Zum einen vom allgemeinen Bekanntheitsgrad eurer Ranger-Gruppe, aber auch vom Ruf, den ihr bei den verschiedenen Fraktionen im Spiel genießt. Es kann also passieren, dass man NPCs gar nicht mit euch reden wollen, während andere euch zum Beispiel beim Handeln tolle Rabatte gewähren.

Eine eisige Welt zum Verlieben

Quelle: InXile Entertainment Bei einem Präzisionsschuss entscheidet ihr, was ihr anvisieren wollt. Die Spielwelt mit all ihren Orten, Quests und Charakteren ist der eigentliche Star in Wasteland 3. Es ist schier unglaublich wie viel Liebe zum Detail im Spiel und vor allem in den toll designten Levels steckt. Wasteland 3 strotzt nur so vor Atmosphäre und muss sich vor hochkarätigen Konkurrenten wie Divinity: Original Sin 2 keineswegs verstecken. Sex mit Robotern: check! Kamikaze-Schweine mit Bombengürteln: check! Ein obskurer Kult, der einen Ronald-Reagan-Roboter als Gott verehrt: check! Das uns noch viel mehr lustiger Irrsinn erwartet euch in Wasteland 3! In Sachen Benutzerführung stellt Wasteland 3 zudem eine enorme Weiterentwicklung im Vergleich zum Vorgänger dar, der selbst in der komplett überarbeiten Director's Cut-Fassung noch ein wenig sperrig und unausgegoren wirkte. Die Menüs und das Benutzer-Interface sind im neuen Teil viel übersichtlicher und sorgen so für einen flüssigeren Spielablauf, vor allem in den Kämpfen. Eine weitere Neuerung ist der Koop-Modus, den wir uns aus Zeitgründen nicht ausführlich anschauen konnten. Hier zieht ihr mit einem Freund durchs eiskalte Ödland und löst gemeinsam Quests. Der Reiz liegt hier darin, dass die Partner aneinander auch betrügen und so das (Über-)Leben des anderen deutlich erschweren können.

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Gute Vertonung und stimmungsvolle Songs

Was die Präsentation angeht, haben die Entwickler von inXile Entertainment ebenfalls einen sehr guten Job abgeliefert. Die Weiterentwicklung im Vergleich zum Director's Cut von Wasteland 2 ist deutlich sichtbar. Mit der tollen Grafik des oben angesprochenen Konkurrenten Dinivity: Original Sin 2 kann Wasteland 3 aber nicht ganz mithalten. Wer über gute Englischkenntnisse verfügt, dem legen wir ans Herz das Spiel in der Originalfassung zu spielen. Die deutsche Übersetzung ist zwar nicht ganz fehlerfrei aber insgesamt gelungen. Richtig toll ist hingegen die Sprachausgabe, die es aber nur in englischer Sprache gibt. Abgerundet wird die Präsentation durch eine erstklassige Musikuntermalung und einige eigens für das Spiel komponierte (ebenfalls rein englischsprachige) Songs.