Zwischen Akzeptanz und Verfolgung: Ein geschichtlicher Überblick über Homosexualität im Spielfilm

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Special Bastian Birkner - Autor
Zwischen Akzeptanz und Verfolgung: Ein geschichtlicher Überblick über Homosexualität im Spielfilm
Quelle: Kinowelt, Fox, Salzgeber, Tobis

Zum Start des oscarnominierten Coming-of-Age-Dramas "Call Me by Your Name" haben wir uns Gedanken über die Darstellung von Homosexualität im Film gemacht. Heutzutage ist dies natürlich kein Problem mehr, gefühlt existieren inzwischen genauso viele Liebesgeschichten zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen wie zu heterosexuellen. Doch wie war das ganz zu Beginn der Filmgeschichte eigentlich? Wir haben ein wenig recherchiert und stießen auf eine hochspannende und dramatische Geschichte der Homosexualität des vergangenen Jahrhunderts, die wir euch natürlich nicht vorenthalten wollen.

Homosexualität war im 20 Jh. gerade in vielen westlichen Ländern unfassbar lange ein Straftatbestand. In Deutschland wurde dies durch den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches geregelt, der seit der Reichsgründung 1871/72 existiert und erst 1994 (!!) abgeschafft wurde. Er stellt erstaunlicherweise nur sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Während dieser Zeit wurden zehntausende deutsche Männer für ihre Sexualität verurteilt, besonders grausam gingen dabei die Nationalsozialisten vor. Natürlich wurde das Gesetz in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts immer weniger und zum Schluss gar nicht mehr angewendet, doch es zeigt deutlich, dass der offene Umgang mit der Thematik ein Produkt der jüngsten Zeit ist. Aber wie sah es mit der Homosexualität im Film aus?

Nun, ganz grob ließe sich die Leinwandgeschichte der Homosexualität unseres Erachtens in fünf Phasen einteilen: Die Anfänge, die bis zur frühesten Filmgeschichte zurückreichen und wohl auch als "Probierphase" bezeichnet werden könnte. Darauf folgte die Zeit des Hays-Code, in der homosexuelle Darstellungen im amerikanischen Film grundsätzlich verboten waren. Danach erfolgte eine langsame Öffnung für das Thema, die schließlich in einen regelrechten weltweiten Boom von Dramen mündete. Seit den 90ern ist das Thema auch in Hollywood vollständig etabliert und es folgte der weitestgehend ungezwungene Umgang, den wir heute gewohnt sind.
Dieser ungefähre zeitliche Ablauf geht einher mit der Geschichte der Homosexualität an sich und beeinflusste sie wohl auch. Man muss immer bedenken, dass Homosexualität bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Bevölkerung als Krankheit angesehen wurde. Dies geschah nicht aus Bösartigkeit - man wusste es nur nicht besser. Darauf hatte auch die mediale Zensur ihren Einfluss, denn ein Thema, das nicht besprochen wird, kann auch nicht aufgearbeitet werden.

Für die weltweiten Filmemacher bedeutete eine Öffnung für Homosexualität einen großen Pool an möglichem Filmstoff. Gerade die Außenseiterrolle in der Gesellschaft bot einen großen Reiz, doch der Umgang damit war nicht immer stilvoll. Auch zahlreiche Komödien gingen zu Lasten der Homosexuellen.
Wie dies alles miteinander zusammenhängt, könnt ihr nachfolgend nun selbst herausfinden. Bitte beachtet, dass wir den Bericht auf die männliche und weibliche Homosexualität eingegrenzt haben, denn nur diese zieht sich durch die gesamte Filmgeschichte. Damit sollen ausdrücklich keine anderen Geschlechter oder Personen der LGBTQ-Community diffamiert oder zurückgewiesen werden. Wie immer erheben wir keinen Anspruch auf die Vollständigkeit der gesamten Geschichte (dies wäre wohl auch eher ein Unterfangen für eine Doktorarbeit), aber ihr dürft die Darstellung in den Kommentaren selbstverständlich gerne noch ergänzen. Wir würden uns freuen!


Die Anfänge (1916-1930)

Szenen aus "Anders als die Anderen", "Die Büchse der Pandora" und "Mädchen in Uniform" Quelle: AL!VE, Films sans Frontières, Kinowelt Suizid des Paul Körner in "Anders als die Anderen" (1919) / Gräfin Geschwitz und Tänzerin Lulu in "Die Büchse der Pandora" (1929) / Schülerin und Lehrerin in "Mädchen in Uniform" (1931) Die Geschichte der Homosexualität im Film begann schon früh mit der Geschichte des Films selbst. Als erster Film, der das Thema direkt in den Fokus stellte, gilt heute die deutsche Produktion "Anders als die Anderen" von Richard Oswald 1919. Darin wird der Geigenvirtuose Paul Körner von einem männlichen Prostituierten mit seiner homosexuellen Neigung erpresst. Der Erpresser wird zwar vor Gericht verurteilt, aber auch Paul selbst, da er durch seine "Unzucht" gegen das geltende Recht verstoßen hat. Gebrandmarkt vor der Gesellschaft begeht er schließlich Selbstmord.
Das Drama pflegt einen sehr offenen Umgang mit der gleichgeschlechtlichen Liebe und entstand unter Mitwirkung des renommierten Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld. Dass dieser Film in Deutschland überhaupt entstehen konnte, war der Abschaffung der Zensur für Theater und Film 1918 geschuldet. Man wollte sich dem Thema ohne Vorurteile und wissenschaftlich annähern und zu einer öffentlichen Debatte aufrufen. Die gab es dann auch, allerdings nicht wie geplant: Die überwiegend konservative Bevölkerung war erbost über die Darstellung dieser Gesetzeslosigkeit und schließlich wurde die Filmzensur 1920 wieder eingeführt.

Die Zeit war also noch lange nicht reif für die sensible Thematik, aber gerade in Deutschland gab es weitere Filme, die das Thema aufgriffen. Beruhten solche Darstellung meist zunächst auf der Liebe zwischen Männern (die im damaligen gesellschaftlichen Leben ja auch wesentlich präsenter waren), erschien die erste lesbische Filmfigur 1929 in "Die Büchse der Pandora" von Georg Wilhelm Papst. Darin geht es nicht um die Homosexualität selbst, aber mit der "Gräfin Geschwitz" (Alice Roberts) tauchte die erste offensichtlich lesbische Figur in einem Film auf.

1931 entstand ebenfalls in Deutschland der Kultfilm "Mädchen in Uniform" von Leontine Sagan, der bis heute mehrfach wieder aufgelegt und restauriert wurde. Die Handlung spielt in einem preußischen Mädcheninternat der 30er Jahre. Die 14-jährige Schülerin Manuela ist überfordert von den strengen preußischen Erziehungsmethoden, sieht ihren Lichtblick aber in der Lehrerin Fräulein von Bernburg. Da sie die einzige ist, die der Schülerin gegenüber Emotionen zeigt, verliebt sich Manuela in ihre Lehrerin, was letztlich auch in einem Selbstmordversuch endet. Der Film erhielt in Deutschland zwar keine Jugendfreigabe, war international aber sehr erfolgreich. Durch die subtile, aber gefühlvolle Darstellung der Homosexualität inspirierte er gar den amerikanischen Regisseur Rouben Mamoulian zu einer ähnlichen Darstellung der Liebe zweier Frauen in seinem Film "Königin Christine". In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden dem Film lesbische Bezüge jedoch aberkannt, lange galt die Liebe der Schülerin als eine Art fanatische Bewunderung. Diese Sicht auf die Dinge hat sich in den 90er Jahren aber wieder gewandelt und seitdem hat sich "Mädchen in Uniform" einen Namen als feministisches und lesbisches Standardwerk gemacht.

Doch was war in der Zeit eigentlich in Amerika los? Tatsächlich, das sehen wir auch heute noch, waren die Amerikaner auch damals schon etwas prüder und so schafften es zwar einige offensichtlich schwule Figuren, wie in "The Broadway Melody" (1929), auf die Leinwände, diese waren aber meist nur kleine Nebendarsteller und dienten durch ihren klischeehaften "Sissy-Typus" (abschätzig würde man von "Tunte" sprechen) eher der lustigen Unterhaltung. Deutschland kann für diese Zeit, trotz der auch vorhandenen und durchgesetzten Zensur, also als Vorreiter in Sachen Homosexualität im Film gelten. Allerdings stehen dem immer die ablehnenden Reaktionen aus der Bevölkerung entgegen, für die sich auch durch einige wenige Filme nichts am Tabu des Themas änderte.


Die Zeit des Hays-Code (1930-61)

Szenen aus "Der Zauberer von Oz", Rebecca" und "Ben Hur" Quelle: Warner, Great Movies Dorothy aus "Der Zauberer von Oz" (1939) / Haushälterin Mrs. Danvers (l.) in "Rebecca" (1955) / Messala und Ben Hur in "Ben Hur" (1959) In der frühen Filmgeschichte waren die Auswirkungen des Filmkonsums auf das Sozialverhalten noch weitestgehend wissenschaftliches Neuland. Ohne fundierte Erkenntnisse hielt sich in der Bevölkerung die Ansicht, dass gerade Kinder und Jugendliche nicht zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden können, was bei gesetzeswidrigen Darstellungen auf der Leinwand zur Entwicklung einer kriminellen Ader führen sollte. Schon früh wurde daher der Ruf staatlicher und kirchlicher Institutionen laut, neue Filme müssten erst von einer staatlichen Stelle geprüft werden, bevor sie für die Bevölkerung freigegeben werden konnten. Damit setzte sich ab 1927 Will Hays, der Wahlkampfmanager von Präsident Harding, auseinander. Er Bild von Will H. Hays Quelle: Wikimedia, Libary of Congress America Will H. Hays erstellte eine Liste mit verbotenen, bzw. vorsichtig zu behandelnden Inhalten im Film und schuf damit 1930 den "Production Code" der auch als "Hays-Code" bezeichnet wird. Gelistet sind dort unter anderem Themen wie Obszönität und Vulgarität, die detaillierte Darstellung von Kriminalität jeglicher Art, Mordszenen, Unnötige Darstellung von Gewalt, Nacktheit und eben auch Homosexualität. All diese Dinge sollten in Filmen vermieden werden, was die Studios und Regisseure teilweise vor große Herausforderungen stellte, aber auch zu einem sehr kunstvollem Umgang mit der Realität führte. In einer ersten Phase ab 1930 oblag die Einschätzung solcher Inhalte noch den Filmemachern selbst, wurde von ihnen verständlicherweise aber weitestgehend ignoriert. Grade zu Beginn der 30er, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, waren die Filme geprägt von realistischen, düsteren Darstellungen. Aus diesem Grund wurde 1934 dann die "Production Code Administration" gegründet, der alle neuen Filme unter Androhung einer Geldstrafe vorgelegt werden mussten. So etablierte sich das System in den USA und wurde erst 1967 wieder abgeschafft.

Die Einschnitte in die Qualität der Filme durch den Production Code werden z.B. anhand von "Die Katze auf dem heißen Blechdach" 1958 deutlich. Das Drama basiert auf einem Theaterstück und behandelt einen Mann, der sich seiner Homosexualität bewusst wird und seine Frau deshalb verlassen möchte. In der Filmversion von Richard Brooks wird dies nicht mehr thematisiert, wodurch letztlich unklar bleibt, warum der Protagonist nicht mehr mit seiner Frau schlafen will.

Auch wenn neue Produktionen nun einer generellen (wenn auch nicht staatlichen) Zensur unterlagen, ließen sich viele Regisseure davon nur bedingt einschüchtern. Konnte man keine expliziten Szenen über Homosexualität zeigen, so musste dies eben symbolisch oder unterschwellig geschehen, was auch in großen Filmen durchaus häufiger praktiziert wurde. Ein absoluter Grundlagenfilm der Homosexuellenszene ist bis heute der 1939 erschienene "Der Zauberer von Oz" von Victor Fleming. Dies ist erstaunlich, da der Film überhaupt keine gleichgeschlechtliche Liebe beinhaltet. In der Story verschlägt es das junge Mädchen Dorothy (Judy Garland) nach einem Wirbelsturm in das Zauberland des Zauberers von Oz. Auf ihrer Suche nach einem Ausweg trifft sie auf eine Vogelscheuche, die sich Verstand wünscht, einen Holzfäller aus Blech, der so gerne ein Herz hätte und einen ängstlichen Löwen, der gerne mutiger wäre. Sie hilft den magischen Wesen und wurde damit zur Ikone der Akzeptanz gegenüber Andersartigen. Vor allem ihr Lied "Over the Rainbow", das von einem besseren Leben hinter dem Regenbogen erzählt, gilt heute als Song der Homosexuellenszene und wurde 2004 zum besten Filmsong aller Zeiten gekürt. Während des Verbotes von gleichgeschlechtlicher Liebe avancierte zudem der Begriff "Friend of Dorothy" zum Codewort für schwule Männer und ist auch heute noch gebräuchlich. Der Tod von Dorothy-Schauspielerin Judy Garland 1969 war laut vielen Mitgliedern der Szene auch ein Auslöser für die Ereignisse rund um den Christopher Street Day.

In Hollywood waren es große Regisseure wie die Ikone Alfred Hitchcock, die Homosexualität unterschwellig in ihren Film behandelten. In Hitchcocks "Rebecca" ist es die sonderbare Haushälterin Mrs. Danvers, die ihre verstorbene Hausherrin Rebecca abgöttisch verehrte. Wenn sie von ihr schwärmt, während sie zärtlich deren Unterwäsche im Schrank berührt, wird die Anspielung offensichtlich. Auch das Monumentalepos "Ben Hur" von William Wyler deutet eine schwule Beziehung an, und zwar zwischen der Hauptfigur Ben Hur selbst und seinem Jugendfreund Messala. Ihr Wiedersehen zu Beginn des Filmes scheint mehr zu bedeuten, als das bloße Wiedersehen zweier Freunde. Die homosexuelle Absicht hinter der Szene wurde von Drehbuchautor Gore Vidal bestätigt.
Auch Filme wie "Cocktail für eine Leiche" (1948) von Hitchcock oder "Red River" (1948) von Howard Hawks brachten ihren schwulen oder lesbischen Subtext an der Zensur vorbei.

In dieser Zeit hatte sich Hollywood längst als Maß aller Dinge etabliert und ist so auch immer wieder die Basis für die aktuellen Themen ausländischer Film-Branchen. Der Production-Code galt zwar nur in den USA, dort gab es aber auch den größten Absatzmarkt, sowie die bedeutendsten Kritiker. Der britische Schwulenfilm "Victim" (1961) z.B. wurde von der amerikanischen Presse zerrissen. Regisseur Basil Dearden wollte durch sein Werk zeigen, dass Menschen durch ein Verbot von Homosexualität sinnlos kriminalisiert und so zur echten Kriminalität gedrängt werden. Das Time-Magazin griff die Produktion scharf an und stellte Homosexualität als Neurose dar, die die biologische Grundlage des Lebens angreift.

Diese verstaubte Vorstellung ist in dieser Zeit auch in Deutschland noch verbreitet, zu sehen in "Anders als du und ich" (1957) von Veit Harlan. Eine Mutter möchte darin ihrem Sohn die Homosexualität durch das Verkuppeln mit einem Mädchen austreiben. In Österreich erschien das Werk gar als "Das dritte Geschlecht". Spätestens hier wird deutlich, was die Zensur der Homosexualität erreicht hat: Einen absolut kruden Umgang mit einem Thema, über das sich die Bevölkerung nicht öffentlich informieren kann, sowie einer gesellschaftlichen Stigmatisierung der Betroffenen. Dies führt letztlich nur zur Weitergabe von Gerüchten und Halbwahrheiten, zu einer regelrechten Angst vor der unheimlichen Homosexualität und zu einer völlig absurden Einstufung als biologische Krankheit. Natürlich ist daran nicht allein die Filmindustrie schuld, das Verbot der Homosexualität in Deutschland gab es bereits zur Reichsgründung 1872 und damit weit vor bewegten Bildern. Doch im Gegensatz zur frühen Filmgeschichte kann die Zeit des Hays-Code durchaus als Rückschritt bezeichnet werden, zumal dieser über 30 Jahre anhielt.


Langsame Öffnung für die Thematik (1967-80)

Szenen aus "Die Harten und die Zarten", "Tod in Venedig" und "The Rocky Horror Picture Show" Quelle: CMV Laservision, Warner, Fox Zwei schwule Tänzer aus "Die Harten und die Zarten" (1970) / Gustav von Aschenbach und Jüngling Tadzio in "Tod in Venedig" (1971) / Dr. Frank N. Further in "The Rocky Horror Picture Show" (1975) Nachdem der Hays-Code im Jahr 1967 abgeschafft worden war, dauerte es zwar noch einige Zeit, bis ein ernstzunehmender Umgang mit Homosexualität im Film zum Standard wurde, doch die neue Freiheit veranlasste viele Regisseure dazu, sich der Thematik anzunähernd. Besonders maßgeblich für diese Öffnung waren vor allem die Ereignisse rund um den Christopher Street Day 1969 in den USA. Ausgangspunkt dafür war die Bar "Stonewall" in der New Yorker Christopher Street, wo sich zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Homosexuelle nach der öffentlichen Beerdigung ihres Idols Judy Garland versammelten. Als die Polizei dort eine (häufiger stattfindende) Razzia wegen "anstößigen Verhaltens" startete, widersetzten sich die Kunden und es kam zum sogenannten Stonewall-Aufstand. Dieser mündete in tagelange Straßenschlachten mit der Polizei, bei der es zu zahlreichen Übergriffen auf Schwule und Lesben kam. Damit widersetzte sich erstmals eine große Gruppe von Homosexuellen der Verhaftung, wodurch das Ereignis auch heute noch als Wendepunkt in der Geschichte der Gleichberechtigung gilt, da dadurch die Interessen von Schwulen und Lesben erstmal im ganz großen Stil an die öffentliche Presse gelangten.

Dies inspirierte auch Hollywoods Filmemacher und es gab zunehmend Produktionen, die die Homosexualität ganz offen aufgriffen. Der Amerikaner William Friedkin begab sich 1970 auf völlig neues Terrain, als er mit "Die Harten und die Zarten" einen Film inszenierte, in der die Schauspieler fast ausschließlich schwule Männer verkörpern, die bei einer gemeinsamen Geburtstagsfeier von einem einzigen heterosexuellen Mann besucht werden. 1975 entstand dann "The Rocky Horror Picture Show" von Jim Sharman mit einem völlig neuen Umgang mit Sexualität. Basierend auf dem gleichnamigen Musical erschafft der exzentrische Dr. Frank N. Further einen künstlichen, muskulösen Mann zum eigenen Vergnügen. Er verführt sowohl Männer als auch Frauen und kleidet sich in Mieder, Strapse und hochhackigen Schuhen. Bis in die 90er Jahre war dies die einzige Hollywood-Produktion, die vollkommen unverkrampft mit Homosexualität umgeht.

Die Beispiele machen jedoch deutlich, dass Hollywood vor allem vom enormen Sensationspotenzial der Homosexualität profitieren wollte. Nach der langen Phase des Totschweigens wurde die Darstellung von Schwulen und Lesben auch für die Bevölkerung zunehmend interessanter, es entstand die berühmte Lust am Unbekannten. So entwickelte sich im Film ein sehr stereotypisches Bild mit wirklich sonderbaren Vorstellungen der Szene. Nicht zuletzt bildete dies ebenfalls eine gute Grundlage für Komödien. Dies war für Betroffene oft verletzend, man fokussierte sich nur selten auf die wirkliche Person hinter der Sexualität und so kamen auch deren Gefühle und Empfindungen nur selten zu Tage. Dennoch wurde in dieser Phase der Geschichte die Grundlage dazu gelegt, Homosexualität zunehmend als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft zu betrachten.

In Deutschland ging man zu dieser Zeit bereits tiefgründiger mit dem Thema um. Vor allem Rosa von Praunheims Klassiker "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt" gilt als Umbruch für die deutsche Kino-Branche. Das Drama richtet sich vor allem an die Homosexuellen selbst, die aufgefordert werden, sich nicht mehr zu verstecken, sonder gemeinsam gegen die Diskriminierung anzukämpfen. Damit wurde er zum Ausgangspunkt für die Entstehung der modernen deutschen Schwulenbewegung. In dieser Hinsicht konnte sich auch der italienische Regisseur Luchino Visconti einen Namen machen, der in seiner "Deutschen Trilogie" (1968-72) sowohl die gleichgeschlechtliche Liebe in Thomas Manns "Tod in Venedig" aufgriff, als auch die Geschichte des schwulen Bayernkönigs Ludwig II. Doch auch der Fortschritt in Deutschland hatte seine Grenzen. Die Toleranz für den Film über König Ludwig endete spätestens an der bayerischen Grenze, als sich der bayerische Rundfunk vehement gegen eine Ausstrahlung stellte.


Boom der seriösen Homosexualität im Film (1980-93)

Szenen aus "Furyo", "Wer war Harvey Milk?" und "Westler" Quelle: EuroVideo, Salzgeber David Bowie in "Furyo" (1983) / Harvey Milk in "Wer war Harvey Milk?" (1985) / Ein Grenzübergang in "Westler" (1985) Die liberale 68er-Generation war nun kein Haufen von kiffenden Möchtegern-Rebellen mehr, sondern Erwachsene, in deren Verantwortung nun zunehmend auch die Filmproduktion lag. Dies führte zu einem enormen Boom an Filmen über Homosexualität. War dieses Motiv bislang eher ein Motiv am Rande der eigentlichen Story, schaffte es die Gleichgeschlechtlichkeit nun auch ins Zentrum der Filmhandlung. Die gleichgeschlechtliche Beziehung erhielt langsam aber sicher einen ähnlichen Stellenwert wie heterosexuelle Lovestorys und der Fokus lag zunehmend auf der einfühlsamen und romantischen Art und Weise, die Beziehungen darzustellen.

"Desert Hearts" (1985) von Donna Deitch beispielsweise handelt von der homosexuellen Selbstfindung der Literaturprofessorin Vivian Bell, die sich in die jüngere Cay verliebt und so Erfüllung in ihrem Leben findet. Bill Sherwoods Drama "Abschiedsblicke" (1984) setzt sich erstmals offen und realistisch mit dem Tabuthema "AIDS" auseinander und begleitet dabei 24 Stunden lang das schwule Paar Robert und Michael. Hochgelobt wurde auch die Dokumentation "Wer war Harvey Milk?" von Rob Epstein, ein Porträt über den schwulen Bezirksbürgermeister Harvey Milk aus San Francisco, der sich in den 70er Jahren als Politiker für die Interessen der Homosexuellenszene einsetzte. Dies musste er 1978 mit seinem Leben bezahlen, als er von einem politischen Gegner im Rathaus erschossen wurde. Noch in derselben Nacht organisierten Vertreter von Schwulen und Lesben einen Schweigemarsch zu seinen Ehren, an dem sich mehrere tausend Menschen beteiligten. Durch die Ehrung des Dokumentarfilms mit einem Oscar war auch in Hollywood endgültig klar, welchen Stellenwert der seriöse Umgang mit Homosexualität in der Branche inzwischen eingenommen hatte.

Auch außerhalb der Vereinigten Staaten boomten die Produktionen. In England entwickelten sich gleichermaßen realistische Lovestorys wie "Mein wunderbarer Waschsalon" (1985) über die schwule Beziehung eines pakistanischen Einwanderers mit einem Briten von Stephen Frears. Pedro Almodovar feierte 1986 mit dem Transsexuellen-Drama "Das Gesetz der Begierde" in Spanien einigen Erfolg, während David Bowie 1983 in "Furyo", einem Film des japanischen Regisseurs Nagisa Oshima, erstmals seine homosexuellen Neigungen ausleben durfte.
In Deutschland entwickelten sich die Dinge ähnlich. Der Film "Westler" (1985) von Wieland Speck stellt beispielsweise die tragische Liebe des westdeutschen Felix und des Ost-Berliner Thomas, die von der Berliner Mauer verhindert wird, ins Zentrum der Handlung. Die deutsche Regisseurin Alexandra von Grote wurde mit der Geschichte einer Jüdin im zweiten Weltkrieg bekannt, die sich bei ihrer Flucht nach Paris in eine junge Französin verliebt und sich bei ihr vor der Gestapo versteckt hält. "Novembermond" lautet der Titel dieser 1985 erschienenen deutsch-französischen Koproduktion.

Die Homosexualität als ernstzunehmende Thematik war also endlich in der Filmbranche angekommen. Nach und nach lockerte sich der Umgang, was auch in der Bevölkerung zu einer anderen, wesentlich differenzierteren Betrachtung führte. Auffällig ist jedoch, dass sich gerade große Mainstream-Regisseure noch nicht an die gleichgeschlechtliche Liebe wagten und so nahmen vor allem Länder wie Frankreich oder Deutschland Vorreiterrollen gegenüber Amerika ein. Trotz einzelner gelungener Spielfilme herrschte in den Staaten nach wie vor ein sehr verkrampfter Umgang mit der Homosexualität vor.


Ungezwungener Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe (seit den 90ern)

Szenen aus "Philadelphia", "Brokeback Mountain" und "Blau ist eine warme Farbe" Quelle: Sony, Tobis, Alamode Denzel Washington und Tom Hanks in "Philadelphia" (1993) / Health Ledger und Jake Gyllenhaal in "Brokeback Mountain" (2005) / Ein flüchtiger Kuss in "Blau ist eine warme Farbe" (2013) Diese Verkrampfung löste sich 1993 mit dem Erscheinen von "Philadelphia" nach und nach in Wohlgefallen auf. Der Film gilt als Umbruch in der Branche und war die erste große Produktion von Hollywoods Mainstream-Kino, die sich eindringlich mit der Schwulenszene und der Gefahr von AIDS und vor allem mit dem Umgang der Gesellschaft mit Erkrankten und nicht erkrankten Schwulen beschäftigte. Tom Hanks verkörpert den schwulen Anwalt Andrew Becket, der mit der HIV-Erkrankung zu kämpfen hat. Aufgrund der Krankheit und der damit verbundenen sichtbaren Homosexualität (man glaubte mit dem Aufkommen von AIDS, dass die Krankheit nur Homosexuelle befallen würde) wird er entlassen und wendet sich an den homophoben Rechtsanwalt Joe Miller, gespielt von Denzel Washington. Der lehnt die Vertretung aufgrund der sexuellen Neigung Beckets zunächst ab, erhält dann aber Einblicke in die alltägliche Diskriminierung, die Becket erleiden muss. Entsetzt durch den abstoßenden öffentlichen Umgang muss er seine eigene Meinung in Frage stellen und setzt sich fortan für Homosexuelle ein. Der Film wurde zwar von christlichen Gruppierungen für seine offene Thematik stark kritisiert, konnte aber die Filmkritiker durchwegs überzeugen. Wie erwähnt, brach der Film eine Lanze für Hollywoods Regisseure und seitdem entstanden zahlreiche hochemotionale, differenzierte und gut ausgearbeitete Filme.

Ein weiteres Beispiel und ein Meilenstein der Filmgeschichte ist "Brokeback Mountain" von 2005. Er handelt von der schwulen Beziehung der Cowboys Ennis und Jack, verkörpert von Heath Ledger und Jake Gyllenhaal. Sie treffen sich eines Sommers in den 70er Jahren bei der Arbeit auf einer Farm und verlieben sich sofort ineinander, doch aufgrund dieser Beziehung werden sie vom Farmbesitzer für das nächste Jahr nicht mehr eingestellt. Da beide aus völlig unterschiedlichen Gegenden in den USA kommen, verlieren sie sich aus den Augen und Ennis beginnt eine unglückliche Ehe mit einer Frau. Einige Jahre später macht Jack seinen Freund ausfindig. Beide haben jedoch auch weiterhin große Probleme mit ihrer Beziehung, da sie diese nicht öffentlich ausleben dürfen.
Dass der Film 30 Jahre in der Vergangenheit spielt, zeigt den Fortschritt in der Gesellschaft, die im neuen Jahrtausend von Vorurteilen gegen Homosexuelle weitestgehend befreit ist. 2005 wäre die Dramatik der Beziehung so zum Glück wohl nicht mehr möglich und nötig gewesen.

Auch der internationale Filme-Markt bringt immer wieder echte Schätze in der Darstellung der Homosexualität hervor, wie aktuell eben das gefühlvolle italienische Coming-of-Age-Drama "Call Me by Your Name" von Luca Guadagnino. Dazu haben wir diese Woche auch eine Kritik veröffentlicht, in der ihr alle Infos zum Film erhaltet. 2013 konnte das Beziehungsdrama "Blau ist eine warme Farbe" in Frankreich und darüber hinaus Aufsehen erregen. Der Film begleitet das Leben zweier lesbischer bzw. bisexueller Mädchen, die sich ineinander verlieben und eine eigene Wohnung beziehen, sich im Laufe der Zeit aber auseinanderleben und wieder trennen. Für Furore sorgten die expliziten sexuellen Darstellungen der körperlichen Beziehung mit viel nackter Haut. Das haben internationale Produktionen den Amerikanischen nach wie vor voraus, Nacktheit wird in den Staaten immer noch nur ungern im Film eingesetzt und wenn dann schon gar nicht derart offenkundig. Der Regisseur des Films, Abdellatif Kechiche, wollte laut eigener Aussage aber keine lesbische Liebesgeschichte erzählen, sondern einfach zwei Liebende bei den Höhen und Tiefen ihrer Beziehung begleiten, unabhängig des Geschlechts.

Es war ein langer Weg, doch damit sind wir da angekommen, wo es von Anfang an hätte hingehen sollen: Filme stellen nicht mehr die Homosexualität an sich in das Zentrum ihrer Handlung, sondern die Beziehung der Charaktere zueinander, ganz egal ob homo- oder heterosexuell. Sie erzählen also einfach eine völlig normale Liebesgeschichte. Die vermeintlich "Komischen" in einer Gesellschaft sind nun nicht mehr die Schwulen und Lesben, sondern diejenigen, die sie nicht akzeptieren.


Hier könnt ihr euch jetzt noch den Trailer zu "Call Me by Your Name" anschauen, der seit dieser Woche im Kino läuft.

01:57
Call me by Your Name: Neuer Trailer zum italienischen Indie-Drama

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    • Kommentare (1)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von Serienna Stille/r Leser/in
        Ein toller Artikel, vielen Dank dafür. Ich wußte noch gar nicht, das Judy Garland was mit dem Christopher Street Day zu tun hatte. Bei den Filmen ist vielleicht noch das Jahr 1988 zu erwähnen, als "Das Kuckucksei" gedreht wurde. Ein Drama und eine Komödie gleichermaßen, mit Harvey Fierstein, Matthew Broderick und Anne Bancroft. Tolle schauspielerische Leistung und absolut sehenswert. Leider (immer noch nicht) auf DVD erschienen...
      • Von Serienna Stille/r Leser/in
        Ein toller Artikel, vielen Dank dafür. Ich wußte noch gar nicht, das Judy Garland was mit dem Christopher Street Day zu tun hatte. Bei den Filmen ist vielleicht noch das Jahr 1988 zu erwähnen, als "Das Kuckucksei" gedreht wurde. Ein Drama und eine Komödie gleichermaßen, mit Harvey Fierstein, Matthew Broderick und Anne Bancroft. Tolle schauspielerische Leistung und absolut sehenswert. Leider (immer noch nicht) auf DVD erschienen...
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