25 Jahre Thief: Das Spiel, das Stealth zum Massenphänomen machte

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Special Olaf Bleich - Autor Benedikt Plass-Fleßenkämper - Autor Lukas Schmid - Brand / Editorial Director
25 Jahre Thief: Das Spiel, das Stealth zum Massenphänomen machte
Quelle: Eidos/Square Enix/CDE Entertainment

Heute kennen wir Thief: The Dark Project als Stealth-Klassiker. Die Entwicklung des Ego-Schleichers stand jedoch mehr als einmal auf der Kippe.

Seit dem Erscheinen von Doom im Jahr 1993 schritt die Evolution der First-Person-Computer- und Videospiele rasant voran. Titel wie Duke Nukem 3D oder auch Quake dominierten im Jahr 1996 den Markt: schnell, actionreich und bildgewaltig. Viel Taktik war hier nicht gefragt, wohl aber gute Auge-Hand-Koordination an Maus und Tastatur.

Doch während die Actionspiele von id Software und 3D Realms den Mainstream eroberten, versuchten sich andere Entwicklerteams bereits an den Möglichkeiten des noch jungen Genres.

US-Entwickler Looking Glass Studios präsentierte mit System Shock 1994 einen mutigen Science-Fiction-Genremix, der Rollenspielelemente mit First-Person-Action kombinierte. Die später auf CD-ROM veröffentlichte Enhanced Edition setzte mit integrierter Sprachausgabe und einem starken erzählerischen Fokus Maßstäbe und gilt als Wegbereiter für Titel wie Half-Life (1998).

Das Problem: Looking-Glass-Spiele waren Kritikerlieblinge, verkauften sich aber im Vergleich zur angesprochenen Konkurrenz eher mäßig. Das Entwicklerteam benötigte dringend einen Verkaufserfolg - und deshalb sollte das nächste große Projekt deutlich massenkompatibler ausfallen.

Schwertkampf Quelle: Moby Games Am Ende einer über zweijährigen Odyssee stand schließlich Thief: The Dark Project(bei uns als Dark Project: Der Meisterdieb veröffentlicht) am 1. Dezember 1998 in den Händlerregalen. Ein mittelalterliches Stealth-Abenteuer, das sich von der Konkurrenz absetzte und ein neues Subgenre der First-Person-Spiele eröffnete.

Startschuss mit Untoten

Ein noch junger Ken Levine (später unter anderem bekannt für Bioshock) stieß im Oktober 1995 zu Looking Glass hinzu. Der damals 29-Jährige wollte eigentlich als Drehbuchautor in die Filmbranche einsteigen, war aber ein großer Fan von Ultima Underworld und bewarb sich auf eine Stellenanzeige. Levine besaß keine Entwicklererfahrung, deshalb wurde ihm Doug Church als Mentor zur Seite gestellt.

Levines Hauptaufgabe bestand im Entwickeln und Schreiben der Spielwelt und deren grundsätzlicher Ästhetik. Seine ersten Ideen waren allerdings arg extravagant und hörten etwa auf Projektnamen wie School for Wizards, Dark Elves Must Die und schließlich Better Red Than Undead.

Letzteres spielte in einer kruden Abwandlung des Kalten Krieges, wie Doug Church in einem Interview für Game Design: Theory and Practise (Second Edition) ausführte:

"Man kämpfte in der Zeit des kommunistischen Kalten Krieges gegen Zombies, rannte herum und bildete verschiedene Gruppen - kommunistische Spione und Regierungen sowie westliche Regierungen und all diese verschiedenen Spionageorganisationen. In der Zwischenzeit versuchten die Zombies, alle zu übernehmen. Man musste sich aussuchen, mit welchen Parteien man sich verbünden und gegen wen man vorgehen wollte, während alle diesen gemeinsamen Feind, die Zombies, hatten."

Kampf gegen ein Monster Quelle: Moby Games Wenig überraschend fand diese Prämisse wenige Fürsprecher. Deutlich besser kam das im Frühling 1996 erdachte Konzept von Dark Camelot an. Darin stellte das Looking-Glass-Team die Sagenwelt auf den Kopf: König Artus als wahnsinniger Herrscher, Merlin als Psychopath und der Gral ist nur eine Erfindung.

Als Spielcharakter diente Ritter Mordred, der gemeinsam mit seiner Beraterin Morgan le Fay gegen die Tafelrunde vorgehen sollte. Doch während die Gameplay-Idee der Gruppierungen in der Konzeptphase ins Leere lief, fiel schnell auf, dass gerade die Missionen, in denen Mordred in Camelot einbrechen und etwa einen Gegenstand stehlen musste, am besten funktionierten.

Chef-Programmierer Tom Leonard erklärte im Postmortem gegenüber Gamedeveloper.com: "Obwohl die Entwicklung auf dem Papier angeblich schon seit einem Jahr im Gange war, begann Thief realistischerweise Anfang 1997, nachdem das Spiel als Action-/Adventure-Diebstahlspiel in einer düsteren Fantasy-Umgebung neu positioniert wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt verfügten wir nur über einen kleinen Teil der Grafik, des Designs und des Codes, die es letztendlich in die Vollversion schaffen würden. Die vollständige Entwicklung begann im Mai 1997 mit einem Team, das fast ausschließlich aus Leuten bestand, die zum Start des Projekts noch nicht an Bord waren."

Bildergalerie

Der Dieb setzt sich durch

Im Verlauf der Monate wurde klar, dass das Motiv des Diebes die Richtung war, in die man gehen wollte. So erklärte Doug Church, dass allein der Name "Thief" Interessierten sofort klarmachte, worum es im Spiel gehen würde. Was macht ein Dieb? Klare Sache: Er schleicht herum, bleibt im Dunkeln und versucht, möglichst nicht entdeckt zu werden.

    • Kommentare (9)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von Neawoulf Nerd
        Zitat von Svenc
        Gerade endlich die neue Fankampagne "The Black Parade" gestartet -- mit Beteiligung von Arkane-Profis übrigens.
        Sieht sehr interessant aus. Schon die handgezeichnete Karte macht Bock auf das Spiel. Schaue ich mir die Tage mal an!
      • Von Neawoulf Nerd
        Zitat von Svenc
        Gerade endlich die neue Fankampagne "The Black Parade" gestartet -- mit Beteiligung von Arkane-Profis übrigens.
        Sieht sehr interessant aus. Schon die handgezeichnete Karte macht Bock auf das Spiel. Schaue ich mir die Tage mal an!
      • Von Svenc Spiele-Novize/Novizin
        Gerade endlich die neue Fankampagne "The Black Parade" gestartet -- mit Beteiligung von Arkane-Profis übrigens. Und wenn ich die Augen schließe und nicht an die Gegenwart denke, dann wirkt der Zauber. Thief nur ein Schleichklassiker? Pah. Das war wie alle Looking-Glass-Titel davor eine Annäherung an Virtual Reality -- lange, bevor das ein teurer Hardware-Hype war. Heute erinnert einen jedes zweite Spiel in jedem ersten Pixel daran, nur ein verdammtes Spiel zu spielen.

        Wunderbar, ganz wunderbar.

        [Ins Forum, um diesen Inhalt zu sehen]
      • Von Svenc Spiele-Novize/Novizin
        Finds übrigens schade, dass Thief heute meist "nur" noch als Stealh-Pionier gilt. Looking Glass pionierten gerade auch mit Thief was ganz anderes darüber hinaus -- auch wenn man davon im typischen AAA-Cinematic-Reboot von 2014 absolut nichts mehr sieht.

        Ich gebe mal ein paar Tipps zum Anschauen ab:

        - die Minimal-HUD, die möglichst wenig vom Bildschirm einnimmt
        - die In-Universe-Karten, an denen man sich orientieren muss
        - der 3D-Sound, der gelegentlich sogar mit alldem verknüpft ist -- so muss man sich in den Bonehoard-Gruftlabyrinthen daran orientieren, um sein Ziel zu finden, ein magisches Horn, das schon von weitem erklingt
        - damals fortschrittliche KI und Physik
        - Cutscenes ausschließlich zwischen Missionen, nie als Unterbrechung während Gameplay
        - Levels als Sandboxen mit mehreren Möglichkeiten und Lösungen
        - kein Marker, kein Bullshit nur du und deine 3D-Umgebung

        Ich mache es konkreter. Und zitiere Looking-Glass-Alumni letztens in einer Retrospective auf System Shock:

        Zitat

        We were trying to build the holodeck.
        [Ins Forum, um diesen Inhalt zu sehen]

        Looking Glass näherten sich mit ihrer Software dem Thema virtuelle Realität an -- lange, bevor das ein (teurer) Hardwarehype war. In einer Ära, in der einen jedes zweite Spiel an jeder dritten Ecke daran erinnert, bloß ein Spiel zu spielen, wird Thiefs Ansatz mehr vermisst denn je.

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      • Von Neawoulf Nerd
        Zitat von Garfield1980
        Kommt auch drauf an was man unter Stealth Spielen versteht. In den letzten Jahren fand bei Spielen eine große Vermischung statt, wo man auf Stealth setzen konnte, dies aber nur eines der Spielelemente und optional waren. Ein The Last of Us 1+2 kann man zum Beispiel fast komplett als Stealth Spiel zocken. Oder ein Cyberpunk 2077.
        Yep, sehr viele Spiele nutzen inzwischen auch Stealth-Mechaniken und die Genres vermischen sich immer mehr. Die Far Cry Reihe z. B. würde mir da auch noch einfallen. Aber da sind Leveldesign und KI halt längst nicht so ausgeklügelt, wie z. B. eben bei Thief, Dishonored & Co.

        Und ziemlich zeitgleich mit Thief 1 (ein paar Monate vorher, glaube ich) gab es auch noch das WW2 Taktikspiel Commandos: Behind Enemy Lines, das ich auch als reinrassiges Stealth-Spiel sehen würde, aber das ganze mit seiner RTS-artigen Perspektive und Steuerung nochmal auf eine ganz andere Weise umsetzt.

        Stealth alleine würde ich daher auch nicht als Genre sehen, sondern eher als Gameplayelement.
      • Von Garfield1980 Spiele-Kenner/in
        Zitat von Neawoulf
        Zwischen MGS und Thief ist aber auch viel, viel Platz. Für mich völlig verschiedene Spielkonzepte.

        Thief war ja nicht nur Stealth, sondern vor allem auch Immersive Sim und spiritueller Nachfolger von Ultima Underworld und System Shock. Man bekommt komplexe Levelarchitektur, ein immersives Setting, "intelligente" Gegner und nen riesen Haufen an Werkzeugen, Fähigkeiten und Informationen und kann sich damit frei austoben und Lösungen improvisieren, um das Ziel zu erreichen. MGS war für mich dagegen eher ne Ansammlung aus kurzen Steath-Levels, die durch Cutscenes zusammengehalten wurden. Bin mit der Reihe nie so wirklich warm geworden im Gegensatz zu Thief & Co.

        Für mich nach wie vor eines der interessantesten Spielkonzepte überhaupt und ich finde es echt schade, dass das Genre bis heute nie so richtig durchgestartet ist. Es gab nach Thief zwar noch Deus Ex, Dishonored, Arx Fatalis, Prey (2017) und aktuell Gloomwood im Early Access, aber diese Spiele sind leider ziemliche Ausnahmetitel und große Entwickler und Publisher scheinen sich davor zu fürchten, weil ein Großteil der Spieler vermutlich lieber unkompliziertere und gescriptetere Spielkonzepte bevorzugt, die sich auch besser in Trailern bewerben lassen.

        Thief 2 ist für mich (zusammen mit Dishonored 2) der Höhepunkte des Genres. Leveldesign, Stealthmechaniken, Setting, Atmosphäre... kann ich 100x mehr mit anfangen, als mit den ganzen 3rd Person Action Adventures, die seit Assassin's Creed den Triple-A Markt dominieren.
        Kommt auch drauf an was man unter Stealth Spielen versteht. In den letzten Jahren fand bei Spielen eine große Vermischung statt, wo man auf Stealth setzen konnte, dies aber nur eines der Spielelemente und optional waren. Ein The Last of Us 1+2 kann man zum Beispiel fast komplett als Stealth Spiel zocken. Oder ein Cyberpunk 2077.
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